Was kann / darf / soll / muss ich tun? Tritt- und Stolpersteine für Familie und Freunde – Part 1 Eltern

Tritt- und Stolpersteine für Familie und Freunde – Part 1 Eltern

Ein Kind wird sterben oder ist bereits gestorben. Ein Kind wird mit Behinderungen geboren werden oder aber still, da die Schwangerschaft beendet werden wird. Eine Schwangerschaft ist sehr früh geendet oder kommt einfach überhaupt nicht zustande. 

Wenn sich ein lieber Mensch in so einer Ausnahmesituation befindet, haben viele von uns das Bedürfnis zu helfen. Was aber, wenn man sich hilflos und der Situation nicht gewachsen fühlt? Was machen und was lieber nicht? Was kann gesagt werden oder schweigt man besser komplett? Darf sich noch über die eigene Schwangerschaft oder das eigene Kind gefreut werden? Was ist zumutbar und wann ist es vorbei und wieder gut? 

Leider keine Gebrauchsanweisung…

Natürlich ist jeder Mensch ein Individuum, verfügt über individuelle Ressourcen und braucht in der jeweiligen Situation etwas anderes. Ich kann hier leider keine Gebrauchsanweisung für die entsprechenden Situationen runtertippen. Ein paar Ideen für den Hinterkopf kann ich aber mitgeben. So kann der eigene Umgang etwas abgeglichen werden, was für alle Beteiligten hilfreich sein kann. 
Eine leider häufig gewählte „Alternative“ dazu bietet die So-tun-als-wäre-nix-Strategie oder auch das Ausschleichenlassen des Kontakts.

Weil ich finde, dass diese „Alternativen“ nicht wirklich welche sind, möchte ich hier ein paar Tritt- und Stolpersteine für diejenigen mit auf den Weg geben, die da sein wollen und sich noch unsicher fühlen. Und das ist direkt ein wunderbarer Einstieg….

stattdessen vielleicht etwas Inspiration.

Unsicherheit ist okay. Die Eltern sind es auch und es ist menschlich. Lieber zur eigenen Unsicherheit stehen und darüber miteinander in Verbindung gehen, als diese zu überspielen und dadurch nicht authentisch zu sein.

Unsicherheit und Hilflosigkeit sind authentisch

Ebenso ist es mit der Hilflosigkeit und der Ohnmacht in dieser Situation… Das darf gezeigt werden. Ebenso die eigenen Tränen. Bitte auf das Maß achten, wenn das irgendwie möglich ist. Man kann ins Mitgefühl gehen, ja. Die eigenen Gefühle und Gefühlsausbrüche sollten die Eltern aber nicht übermannen, so dass sie ins Trösten kommen müssen. 

Oft braucht es ein ernstgemeintes Dasein statt großer Taten. Wieviel wertvoller ist ein gemeinsamer Tee mit offenen Ohren und ehrlicher Zugewandtheit oder gemeinsamen Schweigen, statt einer groß geplanten Komm-du-musst- auch-mal-raus-Dich-ablenken-Aktion? Nicht, dass auch mal raus nicht auch mal gut wäre. Aber da braucht es Fingerspitzengefühl, wann das dran ist. Oder Geduld abzuwarten, bis dieser Impuls von den Eltern kommt, um dann ebenfalls einfach nur da zu sein und mitzuschwingen.

Empathie und Mitgefühl

Was alle Eltern in belastenden Situationen gebrauchen können ist Mitgefühl und Empathie. Sie haben ihr Kind verloren. Oder die Zuversicht, ein gesundes Kind zu empfangen. Oder auch den Traum, überhaupt Eltern zu werden.

Manches mag von außen nicht greifbar sein und auf Missverständnis stoßen. Das erfahren die Eltern in der Regel an verschiedensten Stellen in ihrem Alltag. Daher wäre es so schön, wenn es sich nicht auch im Kontakt mit nahestehenden Menschen wiederholen würde. Wenn nicht wirklich ein ähnliches Schicksal erlebt wurde, empfiehlt es sich, auf Floskeln wie „Ich weiß genau (wahlweise: kann mir gut vorstellen), wie du dich fühlst / es dir geht“ etc. zu verzichten.

Denn nein, man weiß es eben NICHT genau. Zudem ist ja jeder Mensch ein Individuum. Es ist möglich, dass die Eltern sich nicht wirklich wahrgenommen und in ihrem Schmerz nicht gesehen fühlen.

Die Sache mit den Floskeln…

Um gleich bei Floskeln zu bleiben… Ja, ich weiß – meistens rutschen die unbedacht heraus, wenn man nicht weiß, was man sagen soll und mit der Situation überfordert ist. Bitte lieber versuchen, die Stille und den Schmerz der Situation auszuhalten, anstatt ins Wegmachenwollen zu rutschen. Niemandem hilft ein „wird schon wieder“, weil sich das die Betroffenen in so einer akuten Situation wirklich nicht vorstellen können. 

und den Ratschlägen.

Weitere Stolpersteine sind gutgemeinte Ratschläge sind Sätze wie
„Du kannst ja noch ein neues Kind bekommen.“ – ja, und dieses Kind jetzt ist trotzdem krank oder tot und das macht Eltern traurig und wütend noch vieles mehr…
„Jetzt weißt du wenigstens, dass du schwanger werden kannst.“ – ja, und dieses Kind wird trotzdem nicht so geboren werden, wie wir uns das erhofft hatten…
„bestimmt war es besser so“„denk einfach nicht mehr drüber nach“, „Zeit heilt alle Wunden“ und und und… 
Davon gibt es viele viele viele… Ich denke viele werden ein Lied davon singen können und eben auch davon, wie verletzend das ist. Es schmerzt, weil der erlebte und gefühlte Verlust klein geredet und die Wichtigkeit von genau diesem Kind heruntergespielt wird.

Begrenzte Aufnahmefähigkeit

Eine weitere Sache, die Eltern und Trauernden im Allgemeinen, besonders am Anfang ihres Weges nicht wirklich helfen, sind Geschichten von „anderen“. Die Aufnahmefähigkeit ist begrenzt und im Kopf ist irgendwas zwischen Nix und der Hölle los. Es ist eher überfordernd, wenn dann noch die Geschichte der Freundin der Schwester, der Nachbarin der Kollegin, der Bekannten einer Bekannten erzählt wird. Auch hier, gut gemeint, jetzt aber nicht dran.

Dem Kind Raum geben

Den Eltern begegnet oft eine Sprachlosigkeit. Es ist schön, diese zu durchbrechen. Die meisten sind dankbar dafür, wenn sie über ihre Situation und vor allem über ihr Kind sprechen können. Sie sind Eltern. Und auch sie wollen von Ihrem Kind erzählen und vielleicht Bilder zeigen und den Namen ihres Kindes hören, Erinnerungen teilen und neue sammeln.

Es kann nach dem Kind gefragt werden, es kann gedanklich immer wieder mit in das Jetzt genommen werden. Geburtstage oder andere besondere Daten können erinnert werden. Wenn die Eltern dazu kontaktiert werden, ist es meistens schön für sie, weil sie merken, dass auch andere sich an ihr Kind erinnern. Und… das Kind darf beim Namen genannt werden, auch wenn sich das zuerst komisch anfühlen mag.

Alltägliche Unterstützung

Was den Eltern seitens des Familien- und Freundeskreises auch gegeben werden kann ist Unterstützung bei ganz alltäglichen Dingen. Vielleicht kann jemand den Einkauf erledigen oder ein gekochtes Essen (einfach etwas mehr zubereiten, wenn man eh dabei ist) vor die Tür stellen? Das Geschwisterkind abholen oder mit dem Hund in den Park gehen? Die Begleitung zu Terminen anbieten oder seine Dienste als Chauffeur zur Verfügung stellen. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die es ein kleines bisschen leichter machen… 

Die Eltern wissen am besten, was gut für sie ist

Wichtig ist es, die Eltern nicht zu „entmündigen“ und aus dem Impuls heraus zu handeln, das man wisse, was jetzt das Beste für sie wäre. Das mag gut gemeint sein, kann aber als übergriffig wahrgenommen werden, denn die Eltern sind zwar in Trauer, aber ja trotzdem noch bei Verstand. Daher vorher fragen, wenn man eine Idee hat und auch darauf vertrauen, dass den Eltern etwas einfällt, spätestens, wenn man Ihnen ein paar Vorschläge macht.

Ein Baby im Umfeld

Vielleicht wird selbst gerade ein Baby erwartet und es bestehen Sorgen vor dem Zusammentreffen und der Konfrontation mit den verwaisten Eltern. Ich empfinde es als sinnvoll, das zu thematisieren. Das ist sicher nicht leicht, bietet aber die Möglichkeit, eine Freundschaft zu schützen.

Es ist durchaus möglich, dass es für die Eltern schwer ist, den weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu begleiten. Es ist aber durchaus auch möglich, dass sich das ganz ungut für sie anfühlt und sie ein schlechtes Gewissen haben und trotzdem zu diesem Zeitpunkt nicht anderes handeln können.

Unausgesprochen bleiben auf beiden Seite die Unsicherheit und eventuelle Gewissensbisse damit bestehen, was es größer machen und einander entzweien kann. Auch in dieser Situation können die Eltern gefragt werden, wie es sich für sie anfühlt und was sie für die nächste Zeit brauchen. Sicher ist es gut für sie zu merken, dass dieser Punkt bedacht wurde. 

Den Namen des Kindes „übernhemen“?

Kann der Name des verstorbenen Kindes für das eigenen gewählt werden? An diesem Punkt scheiden sich glaube ich die Geister. Es gibt Paare, für die das unerträglich wäre. Andere freuen sich. Sicherlich spielen da mehrere Faktoren mit rein, so zum Beispiel der Abstand zum Tod des Kindes. Wenn dieser noch nicht lange her ist, ist es möglich, dass die Eltern darüber noch nicht wirklich nachdenken können.

Auch hier empfehle ich das Gespräch. Die Eltern können gefragt werden, wie es für sie wäre, wenn das erwartete Kind den Namen des eigenen verstorbenen Kindes bekommen würde. Wichtig ist natürlich, auch ein „Nein“ annehmen zu können.

Bei sich selbst hinfühlen

Es ist hilfreich, wenn man versucht, sich in die Lage der Eltern zu versetzen. Klar, das geht nicht wirklich. Und doch kann man sich an eigenen Lebensereignissen entlang hangeln, um eine Idee davon zu bekommen. Wie fühlt es sich zum Beispiel an, wenn man etwas verliert, dass man sehr sehr gerne mochte, etwas an dem man emotional hing? Wie hat es sich angefühlt, als ein langersehntes Ereignis, dass man herbeigesehnt und sich gedanklich bereits blumige ausgemalt hat dann doch kurzfristig abgesagt wurde? Wie erging es einem selbst bei Ereignissen, die von jetzt auf gleich Veränderungen mit sich gebracht haben?

Nicht wirklich vergleichbar und dennoch…

Ich denke an Kündigungen, Krankheiten und Diagnosen, Umzüge, Verluste eines Haustieres etc. Und jetzt wird das potenziert auf den Verlust des eigenen Kindes, die eigenen Zukunft als Mutter oder als Vater, als Eltern, als Familie. Plötzlich ist alles anderes. Alles. Anders. Und das ungewollt, es passiert einfach und die Eltern sind meist erstmal ohnmächtig und herzgebrochen.

Oft fühlen sie sich verloren, fremd im eigenen Leben, fremd in der vertrauten Umgebung, fremd mit dem vertrauten Umfeld. Weil sie selbst und ihr bisheriges Leben mit allen Erfahrungen, Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen einmal komplett erschüttert wurden. Es braucht Zeit, bis alles wieder zusammen gesetzt werden kann. Und wie bei einer reparierten Schale, werden die Brüche sichtbar bleiben. Die Schale ist wieder funktional und schön. Beim genaueren Betrachten bleibt sie jedoch gezeichnet und empfindsamer als zuvor. 

Abschließend und dennoch nicht vollständig

Ich denke, es kann sinnvoll sein in sich hineinzuhorchen… Was würde mir selbst gut tun und was würde ich überhaupt nicht wollen. Das ist ein guter Anfang. Der nächste Schritt könnte ein behutsames Gespräch sein. Vertraut auf Euer Bauchgefühl und Euer Herz.

Alles Liebe
Betty

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