„Sternenkinder“ und warum ich eine achtsame Wortwahl wichtig finde

Wenn ich Weiterbildungen gebe, zu den Themen Sterben, Tod und Trauer referiere oder Texte schreibe, nutze ich so gut wie immer Anführungszeichen, wenn ich die Formulierung „Sternenkinder“, „Sternenkindeltern“ oder ähnliche Worte nutze.

Aber warum?

Das hat bereits mehr als einmal für Verwirrung gesorgt. Verwirrung, die ich gern in Kauf nehme, denn das ist eine gute Basis, um darüber ins Gespräch zu kommen. Ich thematisiere das auch wirklich gern, wenn der Rahmen dafür ist, denn ich finde es wichtig, eine eigene Klarheit zu haben. Außerdem finde ich es auch für die betroffenen Familien wichtig, bewusst und bedürfnisorientiert mit den Worten umzugehen. Denn „Sprache schafft Wirklichkeit“ – und das ist wichtiger denn ja, finde ich.

Stimmt etwas mit der Bezeichnung nicht?

Ich finde es sehr sehr wertvoll, dass das Wort „Sternenkind“ sich so sehr etabliert hat, dass betroffene Eltern Informationen, Angebote in ihrer Umgebung, Möglichkeiten für Erinnerungen, andere Betroffene, Netzwerke und vieles mehr finden können. Zuletzt wurde die Bezeichnung im Bundestag genutzt, um den gestaffelten Mutterschatz zu beschließen. Das ist eine ganz wunderbare Errungenschaft und ein weiterer Schritt, das Bewusstsein für die gesamte Thematik zu schärfen.
Neben den vielen anderen Bezeichnungen wie „Himmelkind“, „Schmetterlingskind“, „stilles Kind“, „Lichtkind“ und vielen anderen hat sich die Bezeichnung „Sternenkind“ gut durchgesetzt und holt viele Betroffene ab. Es ist gut, sich selbst in so einer herausfordernden Situation, in der das eigene Leben komplett durcheinander gewürfelt ist, „einsortieren“ zu können. Ein erster Strohhalm, ein kleines bisschen was Greifbares in ganz viel Sprachlosigkeit und innerem Chaos. Ein erstes „Ich bin jetzt also…“ bzw. „Ich habe jetzt also ein Sternenkind.“ in einer Zeit, die durchaus von Orientierungslosigkeit geprägt sein kann.

Wichtig, um zu finden und gefunden zu werden

Das ist wirklich wertvoll und ich verstehe absolut, dass viele Vereine, die so wunderbare Arbeit für die Eltern leisten und andere Angebote für Eltern eben genau dieses „Sternenkind“ oder auch das Wort „Sternenkindeltern“, „Sternenmama“, „Sternenpapa“ und ähnliches in ihrem Namen oder den Beschreibungen ihrer Artikel haben. Gefunden werden und finden können ist das Allerwichtigste. Alle Angebote sind Schätze und es ist toll, dass es mittlerweile so vieles gibt, dass wirklich fast alle das für sich passende finden können.

Es darf gut hingehört und gefühlt werden.

Vielleicht fragt ihr Euch, was genau denn mein Struggle ist… Ich finde es wichtig, nach diesem ersten „Einsortieren“ gut hinzuhören und hinzufühlen. Besonders in Einzelgesprächen für die Eltern, aber eben auch, was eine bedürfnisorientierte und offene Haltung angeht. Denn die Bezeichnungen sind sinnvoll und dienlich, holen aber auch nicht alle Eltern ab. Zumindest nicht dauerhaft. Das ist der Punkt, an dem ich mir wünsche, dass mit den Eltern ins Gespräch gegangen wird. Das gehört wird, anstatt „überzustülpen“. Ich kenne nämlich mittlerweile genug Eltern, die die Bezeichnung „Sternenkind“ richtig doof und unangebracht finden.
Die Eltern haben ein Kind bekommen und das ist tot. Und das ist mindestens genauso schlimm, wie es sich anhört. Auch wenn ihr Gegenüber die Worte nicht gut aushalten kann, ist es ihre Realität. Jeden einzelnen Tag und das möchten sie nicht romantisieren, weil „Sternenkind“ sanfter klingt und vermeintlich leichter zu ertragen ist.
Versteht mich nicht falsch, für viele Menschen wird es passend sein, aber eben nicht für alle. Und es ist mir ein Anliegen, dafür zu sensibilisieren. Weil ich es immer wieder in Begleitungen erlebe. Und auch mit meiner ganz eigenen Geschichte, empfinde mich nicht als „Sternenmama“, auch wenn ich nach den Zuschreibungen eine bin.

Schön und gut… Aber was stattdessen?

In Begleitungen und auch sonst in Gesprächen finde ich es sinnvoll, das Kind – ganz wortwörtlich – beim Namen zu nennen. Ich frage die Eltern, wie ihr Kind heißt, welchen Namen sie ihm gegeben haben. Manche Eltern müssen ihr Kind so früh verabschieden, dass es „noch gar keinen richtigen Namen“ hatte. Dann frage ich nach, ob es vielleicht schon einen Kosenamen hatte. Denn einen „Arbeitstitel“ (und das meine ich absolut liebevoll) haben eigentlich alle schon. Als nächstes frage ich dann, ob ich diesen Namen nutzen darf.

Es ist ganz besonders und herzberührend

Es ist sehr besonders, was dann passiert… Oft erzählen die Eltern anfangs von „dem Kind“ oder „dem Baby“. Im Verlauf des Gesprächs wird ein „mein Sohn“ oder „meine Tochter“ daraus. Wenn ich sie nach dem Namen frage, wird es erst ruhig und nicht selten fließen Tränen.
Ich bekomme selbst beim Schreiben gerade eine Gänsehaut, denn diese Momente sind so besonders und herzberührend. Oft schauen die Eltern sich an, schauen zu Boden oder ins nichts, schlucken, atmen und mit kullernden Tränchen sprechen sie den Namen aus. Es ist zu spüren, dass sie das in den meisten Fällen noch gar nicht oft gemacht haben. Es ist auch oft zu spüren, dass es ihnen nicht leichtfällt und sehr ans Herz geht. Und das darf sein, denn es macht nochmal mehr deutlich, was fehlt. Ihr Kind. Ein richtiger kleiner Mensch, der sehr geliebt und sehr vermisst wird.
Was auch geschieht ist, dass das, was passiert ist – was ihnen passiert ist – wirklicher wird. Sprache schafft Wirklichkeit, ihr erinnert Euch? Für das Verarbeiten von alledem, was da gerade im Leben der Eltern los ist, ist es total wichtig, dass es überhaupt erstmal „wirklich“ wird. Und mit dem Nennen des Namens – vor mir, also im Außen – ist es schon auf eine andere Ebene, eine Schicht tiefer zum Herzen gerutscht. Das tut weh wie sau. Und auch das darf sein.

Wertschätzender und liebevoller Übungsraum

In unseren Gesprächen nutze ich den Namen dann ziemlich konsequent, wenn ich die Erlaubnis dafür bekommen habe. Schön ist zu erleben, wie auch die Eltern immer sicherer werden und es irgendwann ganz selbstverständlich ist, dass sie von „das Baby“ zum Namen ihres Kindes gewechselt sind. Das hat auch etwas mit der Integration der eigenen Biografie zu tun. Unsere Gespräche sind der Übungsraum, in dem sie sich ausprobieren und daran gewöhnen können, um dann auch in ihrem Umfeld über ihr Kind sprechen zu können.

Es darf undogmatisch sein und bleiben

Mir ist es ein Anliegen, für die Wahl der Worte zu sensibilisieren. Ich habe eine klare Haltung dazu. Meine Haltung würde ich aber ebenfalls niemals den Eltern überstülpen. Das macht ja weder in die eine noch in die andere Richtung Sinn. Es darf undogmatisch sein und bleiben. Welches sind die Worte, mit denen die Eltern sich wohlfühlen? Was ist für sie stimmig, was entspricht ihrem Bedürfnis? Das ist es, mit dem wir anderen im Außen gehen sollten. Sei es in einer Begleitung, im Freundeskreis, innerhalb der Familie und auch, wenn wir neue Menschen kennenlernen und das Gespräch dort landen sollte.

Wir sollten wertfrei, offen, zugewandt und mit dem Blick auf das Gegenüber DA sein. Das passt ja eigentlich für fast alle Situationen im Leben. In dieser besonderen und verletzlicheren Situation aber nochmal mehr.

Alles Liebe
Betty

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