Ich wurde gebeten, über das Thema stille Geburt zu schreiben. Das mache ich gern, weil mir ein Herzensanliegen ist, die Themen Sterben, Tod und Trauer rund um Schwangerschaft und Geburt in die Mitte des Lebens holen.
Es ist ein Thema, das mich seit einigen Jahren begleitet und bewegt. Nach der stillen Geburt meiner Tochter von knapp acht Jahren schwappte es unaufhaltsam in mein Leben. Ich wurde auf Missstände aufmerksam die es auch in vielen anderen Familien zu geben schien.
Wie ein roter Faden…
Das Thema zog sich wie ein roter Faden weiter. Mir begegneten immer wieder Eltern die ebenfalls Verlusterfahrungen in oder nach der Schwangerschaft gemacht hatten. Ich erlebte, was diese Erfahrung mit den Beteiligten machte. Und ich erlebte, dass viel mehr Menschen Berührungspunkte mit dem Thema hatten, als ich für möglich gehalten hätte.
Mittlerweile bin ich Trauerbegleiterin und systemischen Familientherapeutin und begleite Eltern, Familien und Geschwister, wenn sie ihr (Geschwister-)Kind verlieren werden oder verloren haben.
Außerdem schreibe ich. Schreiben gegen das Tabu. Oder für den Tabubruch.
Wo kann das Thema sinnvoll platziert sein?
Es scheint noch immer ein schwieriges Thema zu sein, dass auch Babys sterben können. Ich fände es sinnvoll, dieses Thema bereits zu streifen, wenn an eine Schwangerschaft vielleicht noch gar nicht zu denken ist. Es geht mir nicht darum, Ängste zu schüren oder eine Übersensibilität zu erzeugen. Es könnte aber zum Beispiel eine Idee sein, im Biologieunterricht den Nutzen, sowie die Pros und Contras von Pränataldiagnostik zu besprechen.
So haben die jungen Menschen eine erste Idee davon und können, wenn es bei Ihnen dran sein sollte, bedachtere Entscheidungen treffen. Was halten sie für wichtig, was lassen sie lieber bleiben. Was machen sie, wenn es Auffälligkeiten geben sollte und vor allem, was gibt es dann für Möglichkeiten und Wege. Sie wären diesbezüglich kompetenter und könnten selbstbestimmter agieren. Und sie könnten tragfähige Entscheidungen für ihr Leben treffen.
Denn es gibt sie leider immer wieder, diese Schwangerschaften, die eben nicht damit enden, dass glückliche und verliebte Eltern ein rosiges und zufrieden glucksendes Baby in den Armen halten. Manchmal ist das Baby einfach still, weil es tot geboren wurde. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Der Zeitpunkt der Geburt ebenfalls. Was gleich ist, ist der innere Scherbenhaufen der verliebten Eltern, weil sie ihr Kind nicht bei sich haben können.
Zahlen und deren zugeschriebene Bedeutung
Es gibt tatsächlich Normen und Merkmale anhand dessen kategorisiert wird. Ich tue mich schwer damit und bin überzeugt davon, dass es nicht weniger schmerzvoll ist, wenn das Baby unter 500 Gramm wiegt. Auch die Schwangerschaftswoche halte ich nicht für ausschlaggebend, für den Schmerz und die Trauer, die Eltern verspüren können.
Im ersten Drittel der Schwangerschaft ist es oft so, dass die Möglichkeit, dass das Baby nicht bleibt noch im Hinterkopf ist. Gerade diese Paare erhalten oft nicht den Rahmen, der ihnen gut tun würde, um diesen Verlust zu verarbeiten. Unbedachte Floskeln gut gemeinte Ratschläge begegnen ihnen meist öfter, als die Anerkennung, dass auch sie ein Kind bekommen haben und somit Eltern geworden sind. Viele Paare warten bewusst damit, ihre Schwangerschaft zu verkünden. Wenn dann ein Verlust stattfindet, sind Veränderungen für das Umfeld oft schwer einzusortieren.
Wenn die Schwangerschaft bereits weiter fortgeschritten ist, wissen meist schon einige Menschen davon. Die Freunde und die Familien freuen sich im besten Fall mit. Wenn der Bauch schon runder und das Kinderzimmer eingerichtet ist, bekommen die Eltern meist deutlich mehr Mitgefühl für Ihren Verlust. Das Kind war auch für die Menschen im Außen schon etwas greifbarer.
Neue Realitäten
Und doch ist für das Umfeld nicht wirklich nachvollziehbar, wie es im Inneren aussieht. Warum sich die Eltern verändern, wie zerstörerisch der Schmerz sich wirklich anfühlt. Eine echte Mammutaufgabe steht dem Paar bevor.
Sie müssen sich in ihrem neuen Leben zurechtfinden. Sie müssen sich neu sortieren und neu aufstellen. Männer und Frauen trauern auf unterschiedliche Weisen. Das heißt, sie müssen vielleicht aufpassen, ihre Verbindung miteinander nicht zu verlieren. Sie müssen die Fragen nach dem Baby aushalten und die Blicke der Leute ertragen. Und all das in einem absoluten Ausnahmezustand, in dem es eigentlich erstmal nur darum geht, das alles überhaupt zu überleben.
Was wäre wenn…?
Wenn Themen wie kleine Geburt (in der frühen Schwangerschaft) und stille Geburt präsenter wären, wäre ein Zugang leichter. Die Menschen wären aufgeklärter und handlungskompetenter. Sie würden sich als Familie oder Freunde nicht ohnmächtig fühlen und das ganze Thema könnte grundsätzlich und behutsam Raum bekommen.
Die betroffenen Eltern wüssten vielleicht früher, dass sie nicht allein sind und es auch anderen Familien wie ihnen ergeht. Dass es „normal“ ist, wie es ihnen geht, und dass es okay ist, dass es ihnen nicht gut geht und sie nicht funktionieren können und müssen.
Sie wüssten außerdem, dass es Unterstützungsangebote gibt und das Austausch ganz wertvoll und wohltuend sein kann. Vor allem wüssten sie, dass es Familien gibt, die ähnliches überlebt haben und wieder Freude am Leben haben können.
Dies ist ein weiter kleiner Beitrag zum Augenöffnen und zum Zuversicht säen. Schön, dass ihr ihn gelesen habt. Danke dafür.
Alles Liebe
Betty